Am Helllichten Tag by Simone van Der Vlugt

Am Helllichten Tag by Simone van Der Vlugt

Autor:Simone van Der Vlugt
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
ISBN: 3453291093
Herausgeber: Diana Verlag
veröffentlicht: 2011-08-29T22:00:00+00:00


25

Es ist ruhig auf dem Friedhof. Sonst sieht Julia immer ein paar Leute die Wege entlanggehen, Blumen auf Gräber legen oder auf den Bänken sitzen – doch an diesem Sonntagnachmittag ist kaum jemand hier, was sie nicht weiter verwundert, denn es ist brütend heiß.

Das Laub der alten Eichen hat sich durch die lange Trockenheit bräunlich verfärbt, die Blumen lassen die Köpfe hängen, und die marmornen Grabplatten leuchten so grell in der Sonne, dass es in den Augen schmerzt.

Julia genießt das Alleinsein und die Stille. Der sonntägliche Gang zum Städtischen Friedhof ist ihr zu einer lieben Gewohnheit geworden, die sie nicht missen möchte. Sie kommt sich hier vor wie in einer Zwischenwelt, in der sich Diesseits und Jenseits vermischen und ihr das Gefühl geben, ihren Eltern nahe zu sein.

Ihr Unfalltod ist nun schon so lange her, dass keine Tränen mehr fließen, wenn sie ihren Erinnerungen nachhängt, die sich im Lauf der Zeit ein wenig getrübt haben.

Lange hatte sie überhaupt nicht mehr an die vielen Streitereien mit ihrem Vater gedacht, der sie recht streng erzog und ihr vieles verbot. Auch nicht an den Zorn auf ihre Mutter, die ihm grundsätzlich nicht widersprach und deshalb auch nie Partei für sie ergriff. Umso deutlicher erinnert sie sich daran, wie sehr ihr Vater in seinem Beruf aufging und dass ihre Mutter alles tat, um das Familienleben harmonisch zu gestalten. So hatte sie sich mit der Zeit ein idealisiertes Bild von der Vergangenheit geschaffen.

Erst als sie letztes Jahr ihre alten Tagebücher hervorkramte und darin las, wurde ihr klar, dass in ihrer Teenagerzeit längst nicht alles eitel Sonnenschein war und es harte Auseinandersetzungen mit den Eltern, besonders mit dem Vater, gab.

Dass sie die Dinge nun in einem etwas anderen Licht und damit realistischer sieht, bedeutet jedoch nicht, dass ihr die Eltern weniger fehlen. Sie hat sie geliebt und weiß, dass sie stets nur ihr Bestes wollten.

Mit einem Mal wird ihr bewusst, dass sie nun, mit einunddreißig, länger ohne ihre Eltern gelebt hat als mit ihnen. Dieser Gedanke macht sie so betroffen, dass doch noch ein paar Tränen kommen.

Julia blinzelt sie weg und beschließt, nach Hause zu gehen.

Sie will gerade aufstehen, als sie eine Frau sieht. Vor einer Viertelstunde ist sie mit ihrem Kinderwagen schon einmal an ihr vorbeigegangen, einen Strauß Sonnenblumen unterm Arm.

Als sie näher kommt, sieht Julia, dass sie noch sehr jung ist, allenfalls zwei- oder dreiundzwanzig – und dass sie weint. Immer wieder wischt sie sich die Augen.

Als sie Julias Blick bemerkt, bleibt sie unvermittelt stehen.

»Alles in Ordnung?«, fragt Julia mitfühlend.

Die Frau nickt und schickt sich an weiterzugehen. Da ertönt ein klägliches Wimmern aus dem Kinderwagen. Sie seufzt auf, beugt sich resigniert darüber.

Die Arme ist völlig fertig, denkt Julia. Sie hat einen geliebten Menschen verloren und steht jetzt allein mit dem kleinen Kind da …

»Setzen Sie sich doch einen Moment!«, sagt sie freundlich.

Die Frau mustert sie argwöhnisch, als vermute sie eine Hinterlist, und will anscheinend lieber weitergehen. Doch weil das Weinen des Babys sich inzwischen zu einem regelrechten Zornesgebrüll gesteigert hat, nimmt sie es aus dem Wagen und setzt sich ganz ans Ende der Bank.



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